Türchen 16 – Wir wünschen wohl geruht zu haben!

Schlafmangel beim Pferd kam in den letzten Jahren immer mal wieder als Thema in den sozialen Medien auf. Vielleicht nicht zuletzt auch wegen der Studien, mit der sich das heutige Türchen befassen soll. Im Titelbild sieht man unsere Glück die langgestreckt ein Mittagsschläfchen hält. Dahinter Omari und Fee.

Die Tierärztinnen Christine Fuchs und Lena Charlotte Kiefner von der Universität München starteten im Jahr 2014 in Zusammenarbeit mit der Pferdezeitschrift CAVALLO eine Studie über das Schlafverhalten von Pferden in Verbindung mit dem Krankheitsbild der Narkolepsie.

Das Pharmaunternehmen Boeringer Ingelheim zeichnete 2018 eine Studie zweier Fachtierärztinnen zum Thema Schlafmangel bei Pferden mit der Tierwohl-Medaille 2018 aus. Wieder dabei war Dr. Fuchs. Der Konzern honoriert die Arbeit von Dr. Anna-Caroline Wöhr und Dr. Christine Fuchs, die sich mit den schweren Folgen von REM-Schlafmangel bei Pferden befasst.

Narkolepsie versus REM-Schlafmangel titelt die Doktorarbeit von Lena Charlotte Kiefner, die von Dr. Anna-Caroline Wöhr mitbetreut wurde und die unter anderem die Ergebnisse der Studie der Studie verwertet und interpretiert.  Für die Studie wurden 37 Pferde per Video und mit einem mobilen Schlaflabor überwacht. Die Pferde wurden verkabelt, um Gehirnströme, Augenbewegungen und Muskelspannungen zu messen.

Eine Begriffserläuterung vorab: Narkolepsie ist eine chronische, neurologische Schlaf-Wachstörung die durch einen Mangel an dem Botenstoff Hypocretin im Gehirn verursacht wird. Anzeichen der Krankheit sind Anfälle, die in der Regel mit einem Verlust des Muskeltonus einhergehen. Die betroffenen Pferde schwanken, taumeln, stolpern und sind exzessiv schläfrig. Ausgelöst werden die narkoleptischen Anfälle durch starke, meist positive Emotionen. Narkolepsie gilt als unheilbar und der Krankheitsverlauf ist schon wenige Stunden nach der Geburt zu beobachten.

Darüber hinaus gilt die Krankheit unter Pferden als extrem selten und laut Literatur sind vor allem Fohlen – keine erwachsenen Pferde – betroffen!

Trotz dieser Tatsachen hört man immer mehr von Pferden mit Narkolepsie. Immer dann, wenn ein Pferd während des Dösens quasi in sich zusammen fällt. Wenn es ihm sprichwörtlich die Beine wegzieht. – Wie kann das sein?

Schon auf der ersten Seite ihrer Doktorarbeit setzt die Autorin „Narkolepsie“ in Anführungsstriche, im Verlauf der nächsten Seiten wird eines deutlich heraus gestellt: Die Probanden waren nicht krank, sie waren sprichwörtlich zum Umfallen müde!

Alle Pferde litten an extremen Schlafmangel, denn ihnen fehlte der REM-Schlaf. „REM“ steht für rapid eye movement, also für die schnellen Augenbewegungen (die während des Träumens auftreten) – auch bekannt als die Traumphase, die im Rahmen der Tiefschlafphase stattfindet. Um diese Phase zu erreichen muss das Pferd zwingend liegen!

Drei bis fünf Stunden schläft das gesunde Pferd pro Tag im Durchschnitt. Den größten Teil nach Mitternacht bis in die Morgenstunden. Gern genommen ist auch das klassische Mittagsschläfchen – was wir im Übrigen auch bei unserer Truppe immer wieder beobachten können. Den Tiefschlaf gibt es beim Pferd entweder flach auf der Seite liegend oder in Brustlage, mit oder ohne Abstützen des Kopfes auf dem Boden.

Das Schlafverhalten der Studien-Pferde wich frappierend von der Norm ab. nur zwei Pferde legten sich überhaupt kurz (~ 25 Minuten) hin. 35 Pferde schliefen gar nicht im Liegen!

Diese ungenügende Regeneration kann das Pferd nur kurze Zeit kompensieren, danach wird es gefährlich! Das Pferd übermüdet dauerhaft und erleidet wiederholt atonische Kollapse . Es fällt stehend in den REM-Schlaf, bei dem die Muskelspannung extrem nachlässt. Ergebnis: Der Kopf sinkt gen Boden, der Köper verliert die Stabilität und schwankt, das Gewicht wird auf die Hinterhand verlagert, die Vordergliedmaßen knicken ein und das Tier stürzt auf Fessel- oder Karpalgelenk. Entweder folgt nun ein Erschrecken mit aufspringen oder der vollständige Sturz.

Folgen dieser Anfälle sind wiederholte Verletzungen im Kopfbereich und an den Vordergliedmaßen, schlimmstenfalls offene Wunden und Frakturen. Sieben Studienpferde mussten wegen ihrer Verletzungen oder psychischer Leiden eingeschläfert werden.

Während der 24-stündigen Überwachung zählten Fuchs und Kiefner bei den untersuchten Pferden 2328 Kollapse – das sind umgerechnet fast 63 Anfälle pro Pferd. Trauriger Höhepunkt bildete ein Pferd mit 199 Kollapsen – ergo: Im Schnitt ein Kollaps alle sieben Minuten. Die Pferde kollabierten vor allem nachts, meist in den frühen Morgenstunden, was der normalen Schlafenszeit entspricht, denn zu dieser Zeit sind gesunde Tiere meist im REM-Schlaf. Also ebenso wie die Probanden, nur dass die sich nicht dafür abgelegt hatten…

Mirage kam 2008 mit diagnostizierter „Narkolepsie“ zu uns. Während des Ruhens sank ihr Kopf langsam immer tiefer. Es folgte ein Einknicken in den Vorderbeinen.. – Meist wurde sie dann daraufhin wieder wach. Aber alte Kitschen und Macken zeugten für, dass es wohl nicht immer funktioniert hat. Wir sind damals das erste mal mit dem Thema konfrontiert worden. So richtig bewusst gemacht hatten wir uns das irgendwie gar nicht und hatten da auch kein richtiges Bild von vor Augen. Und natürlich macht man sich dann Gedanken und Sorgen, aber die „Narkolepsie“ erledigte sich wenige Wochen nach der Ankunft… Vorbei! Nix mehr.

Die Erkenntnisse der Studie legen die Vermutung nahe, dass es vor allem daran gelegen haben mag, dass Mirage genügend schlief!

Als Ursachen für die Entstehung eines permanenten REM-Schlafmangels bennent die Studie verschiedene Faktoren: Fluktuation in der Herde, Rangordnungsprobleme, unruhige Umgebung, gesundheitliche Probleme (Aufstehprobleme), Bodenbeschaffenheit und extreme Witterungsbedingungen.

Begonnen hat der Mist wohl nach einer schlimmen Beinverletzung mit Klinikaufenthalt, was zu den oben genannten gesundheitlichen Proglemen passen würde. Danach stand Mirage in einem großen Stall, war dort auch immer ranghoch und mit starkem Beschützerdrang ausgestattet. Gesundheitliche Probleme gab zumindest offensichtlich nicht mehr, die Box als solche hätte für das große Pferd größere Maße haben dürfen, aber sie hatte ein Paddock davor, insofern würde man eigentlich denken, dass das schon passte. Bodenbeschaffenheit und Witterung sind auch auszuschließen. Es muss also auch das äußere Umfeld gewesen sein, das soviel Unruhe in die Stute gebracht hat, dass sie eben nicht genug schlief.

Bei uns hat sie sich schnell dem gemütlichen Gruppenschlaf angeschlossen. Vielleicht weil sie quasi ab dem Tag ihrer Ankunft trächtig war? – Denn schließlich passiert da auch hormonell so einiges im Köpfer. Vielleicht auch,weil Mattes sie direkt nach Ankunft ihrer Chef-Position enthob? Weil sie in eine absolut ruhige, kleine Herdenstruktur kam und mit Belle direkt eine Freundin hatte, die auch im Stall ihre Nachbarin war? Wir wissen es nicht. In jedem Fall schlief sie. Das konnten wir nämlich auf der Kamera überwachen. Und die „Narkolepsie“ hatte sich erledigt.

Die Studie zeigt auf, wie wichtig es ist, stetig ein Auge auf das Wohlbefinden unserer Pferde zu halten. Ein Auge darauf zu halten, ob jedes einzelne Individuum auch genügend zur Ruhe kommt. Gerade in der Gruppenhaltung! Ist die Boxe groß genut, legt sich das Pferd genügend ab? Traut es sich oder hat es „Platzangst“? Bei Boxen, die einen Kontakt über die Wände erlauben: Stimmt das soziale Miteinander? Oder wird da gar einer gemobbt wenn der in der Box steht, weil zwei ranghöhere von rechts und links giften oder sogar beißen?

Schlaf ist essentiell für das psychische und physische Wohlbefinden – nicht nur beim Manschen, sondern auch beim Pferd! Und der Halter ist verpflichtet, dafür Sorge zu tragen.

Quellen:

https://edoc.ub.uni-muenchen.de/19431/1/Kiefner_Lena%20Charlotte.pdf

https://www.cavallo.de/pferde-medizin/pferdemedizin-kopf-bis-huf/schlafstoerungen-bei-pferden-so-helfen-sie.1657476.233219.htm

https://www.pferd-aktuell.de/fn/newsticker/umwelt-und-pferdehaltung/tierwohl-medaille-2018-fuer-studie-zu-schlafmangel-bei-pferden

https://www.reiterrevue.de/ausbildung-und-praxis/gesundheit/aufgedeckt-so-schlafen-pferde-9639701.html