Türchen 14 – Von Pythagoras und Schatten, über die man springen muss..

AK14

Köhler zieht den, nach eigenen Aussagen, legendären Pythagoras zur Erläuterung von Vererbungsbeispielen heran. Hier geht es primär darum die durchschlagende Typvererbung diese Hengstes zu ergründen. Auffällig ist die Übereinstimmung im Typ der Vorfahren. Dampfross als unverwechselbarer Typgraveur, der typähnliche Tempelhüter und dessen Vater Perfectionist xx – Allesamt aus einem Guss.

Der nach dem Großen Griechen benannte kleine Trakehner Pythagoras avancierte als Hauptbeschäler zu einem der bedeutendsten Vererber  in der 250jährigen Geschichte des Hauptgestüts Trakehnen und der ostpreußischen Landespferdezucht. Genau genommen stellte er alle Auserwählten vor ihm in den Schatten. Und nach ihm hat es keinen wieder gegeben, der ihm auch nur annähernd das Wasser reichen konnte.

,,Man könnte ihn an der Uhrkette tragen‘‘ hatte Landstallmeister Dr. Ehlert, der Leiter des Hauptgestüts Trakehnen gemeint, als am 10 Juli 1933 Pythagoras vom Landgestüt Braunsberg in Trakehnen eintraf, ,,aber ich glaube an ihn und kann mir nicht denken, daß er enttäuscht‘‘.

Kaum denkbar, daß heutzutage jemand den Mut besitzen würde, einen Hengst mit 158/168 cm als Beschäler einzusetzen. Dabei galten 1933 nahezu gleiche Gesichtspunkte: Der Trakehner sollte gezielt auf Großrahmigkeit, Kaliber und Volumen gezüchtet werden. In diesem Konzept bezog Dr. Ehlert den Pythagoras ein. Die Fachwelt staunte – und wunderte sich schon bald nicht mehr, als der kleine großartige Hauptbeschäler zunehmenden Respekt begegnete.

Pythagoras lieferte in nur 11 Jahren 70 Beschäler und viele Zuchtstuten für das Hauptgestüt Trakehnen. Drei seiner Söhne waren Hauptbeschäler: Arnulf, Sporn und Creon. Per Saldo war für 1945 vorgesehen, doch dazu sollte es nicht mehr kommen…

Lediglich einer seiner Söhne wurde nach Kriegsende in Rantzau eingesetzt: Totilas. Acht seiner Töchter wurden später im Westen zu Hengstmüttern, Isola Madre und Tapete konnten wertvolle Familien aufbauen.

Viele Pythagoras-Kinder waren noch ausgesprochen jung, als die Russen in Ostpreußen einmarschierten und der größte Teil seiner wertvollen Nachkommen ging in den Osten. Nach Polen und in die UdSSR ins Gestüt Kirow. Hier deckten unter Anderem seine Söhne Albergo, Guido, Piligrim und Prutik. Piligrim allen ein Begriff, als Vater des Pepel, Elena Petuschkowas Olympiapferd.

Weshalb Dr. Ehlert Pythagoras als Hauptbeschäler bestimmte und weshalb dieser Beschäler ein so phänomenaler Vererber wurde, interessiert uns heute nicht weniger, als die Züchter von damals. Da ist zunächst seine Abstammung.

Pedigree_Pythagoras

Dem weniger Eingeweihten wird dieses Pedigree so ohne weiteres nicht das erklären, was ihm an Wesentlichkeiten eigen ist. Eine erste Studienhilfe können aber die Angaben der Größenmaße und der Farbe sein, soweit diese festgestellt werden konnten. Diese Angaben sind nicht ausschlaggebend, sicherlich aber interessant und zugleich eine Quelle für ein tiefes hippologisches Studium, das bestimmte Zusammenhänge und Gesetzmäßigkeiten erklärt und diese ergänzend den offensichtlicheren Erkenntnissen hinzufügt.

Als typprägend und typtragend beim Pythagoras ist der Hauptbeschäler Flügel anzusehen, der 40 Jahre vor der Geburt des Pythagoras seine Tätigkeit in Trakehnen beendete.

Er prägte ganz eindeutig den Pythagorasvater Dampfroß und gab diesem komprimiert und für Generationen gesichert den Idealtyp des Trakehners mit, der auch heute noch mit diesem Blut verbunden geblieben ist und der Vorstellung von einem Trakehner (z.B. Abglanz, Pregel, Semper Idem, Totilas, Ibikus) am meisten entspricht.

Den Dampfroß als Hauptbeschäler eingesetzt zu haben, stellt dem Landstallmeister Siegried Graf Lehndorff ein Zeugnis hoher hippologischer Genialität und Zivilcourage aus, denn die Abstammung des typvitalen Fuchses wies Lücken auf und nur die Mutter als eingetragene (Vorregister) Stute. Dies ist umso bemerkenswerter, als damals (1924) bereits weit verbreitet volle und lange Abstammungen und Eintragungsmerkmale vorhanden waren und als Voraussetzungen für den Zuchteinsatz galten.
Hier ist man also über den eigenen Schatten gesprungen, über Vorschriften und Gepflogenheiten hinweg, allein einer inneren Stimme und Überzeugung folgend, ohne ein damit verbundenes Risiko zu scheuen.

 

Diese Erzählung kann uns heute nicht mehr sagen, als dass Landstallmeister Ehlert an den Hengst glaubte und ihn einsetzte.  Trotz eigener, geringer Körpergröße vererbte er sich immer größer als er selbst war. Er gab seinen seinen Kindern durchschlagend seinen Typ und andere wunderbare Eigenschaften mit. Über Generationen sieht man den „Stempel à la Pythagoras“.

Das „Über-den-eigenen-Schatten-springen“ ist etwas, dass wir uns heute auch noch mehr wünschen würden. So manches Pedigree lässt doch an das Pferd glauben, auch wenn der Repräsentant vielleicht zweieinhalbjährig (zur Körungsvorauswahl) noch etwas unreif daher kommt. Prominentestes  Beispiel dürfte wohl aktuell DER DÜRER sein. Dass dieser tolle Fuchs der Zucht noch zur Verfügung steht, ist nur einer einzigen Person zu verdanken: Seiner Züchterin Dr. Mechthild Bause, die an ihren Fuchs glaubte und ihn auch weiter Hengst ließ, als die Körkommissare des Trakehner Verbandes ihn nach Hause schickten!

2004 körte ihn der ZFDP und Mecklenburg-Vorpommern erkannte ihn an. 2005 folgte Sachsen-Anhalt. Der eigene Verband folgte erst 2006 nachdem man quasi nicht mehr an ihm vorbei gucken konnte. Im selben Jahr qualifizierte er sich i.Ü. auch zum Bundeschampionat des fünfjährigen Deutschen Springpferdes. 2010 folgte die Anerkennung für den wohl größten Zuchtverband, für Hannover.

17 Siege und Platzierungen errang der Fuchs in 2013 in der Klasse S (* bis ***), für das Jahr 2014 zählen Stand heute bereits sechs weitere… DER DÜRER ist in jeder Phase ein Edel-Pferd, ein echter Trakehner! Adel scheint aus jedem Knopfloch und natürlich finden wir in den frühen Generationen auf Vater und Mutterseite wieder die Typgeber Pythagorass und seinen Vater Dampfross.

Abschließend zum heutigen Türchen noch ein Rat von Köhler, der auch 30 Jahre nach seiner Entstehung Gültigkeit hat:

Im übrigen wären jene Zuchten gut beraten, die sich nicht selbst die Flügel dadurch beschneiden, daß sie den gesetzmäßig gegebenen Spielraum in der Hengstbeschaffung nicht nutzen.
Man weiß aus langer Erfahrung, daß gerade besonders wertvolle Vererber oftmals erst außerhalb einer vorgeschriebenen ,,Ochsentour‘‘ zum Einsatz kommen. Gerade sie sind vielfach nicht so ,,frohwüchsig und frühentwickelt‘‘ wie andere Jahrgangskameraden, sie sind in allem etwas später reif womöglich.
Die Natur hat sich schon immer den Spaß erlaubt, den Menschen an der Nase zu führen, besonders den schematischen, den Prinzipienreiter.

[whohit]Tuer 14[/whohit]