„Wir wollen die Springpferdezucht nicht revolutionieren, aber wir brauchen gut springende Pferde für die Vielseitigkeit, wenn wir diesen Markt nach wie vor gut bedienen wollen!“ Diese Aussage denke ich, kann jeder Trakehner-Züchter mittragen. Der Umkehrschluss bedeutet also, wenn wir im Trakehner-Lager springbetont züchten, dann haben wir als Fernziel eher nicht den großen Preis von Aachen im Sinn – auch wenn es schön wäre – 😉 – vielleicht aber doch ein ****CCI in Luhmühlen.
In dem Moment, in dem wir uns also gedanklich Richtung Vielseitigkeit bewegen, stellt sich immer auch direkt die Frage nach dem Blutanteil. – Der Trakehner ist ein Warmblüter und muss sich so den gleichen Fragen stellen, wie auch alle anderen Warmblüter, als da wären „Wieviel Prozent Blut hat der denn?“ – Oder auch „Suche VS-Pferd mit mindestens 50% Blutanteil“.
Auch Fakt: Weder das arabische noch das englische Vollblut haben die Springveranlagung im Zuchtziel verankert. Es gab / gibt Linien, denen ein gewisses Talent an den Stangen nachgesagt wird, aber sicher findet man dort keine ausgewiesenen Springvererber. Wenn ich also einen Büter einsetze, dann in der Hoffnung, dass die gut springende Muttersich in desem Punkt auch in der Vererbung durchsetzt. Der Angloaraber wiederum ist ein auf Springen selektierter Spezialblut-Kandidat und auch beim Shagya-Araber gibt es recht gut springende Individuen.
Mit Blick auf die Zuchtgeschichte, sollte man aber meinen, dass die Frage nach dem Spezialblutanteil beim Trakehner im Vergleich zu anderen Warmblutrassen eher unbegründet ist. Ein schneller Blick auf die Geschichte, wobei hier nur grobe Notizen das Thema Spezialblut für die spätere Schlussfolgerung einordnen sollen. Trotzdem sind sie lang und der geneigte Leser darf hier auch gerne glauben, dass das schon stimmt, was folgt und direkt bis zu „Joda“ scrollen ;-):
13. Jahrhundert – Die Ordensritter ziehen in jenes Land, das später Trakehnen sein wird. Auf Basis der Konik-ähnlichen heimischen Schweikeponys begann man Pferde für den kavalleristischen Einsatz zu züchten.
Um 1400 – mehr als 30 Gestüte, die ein schweres Reitpferd fürs Heer züchteten
1410 – Zerfall des Ordens nach der Schlacht von Tannenberg, damit auch Verfall der Pferdezucht
Um 1600 – Wiederaufnahme der Pferdezucht nach strengen Selektionskritereien, stark beeinflusst durch orientalische Veredlerhengste. Ziel: Ein leichteres, für militärische Zwecke geeigntetes Pferd.
1640 – Friedrich Wilhelm I erlässt ein Edikt zur Verbesserung der Pferdezucht
1732 – Gründung des Hauptgestütes Trakehnen
1732 bis 1739 – Schaffung einer Basis: Bewährte ostpreußische Zuchttiere, als Fremdblut Persianer und sein Enkel Spinola sowie die englischen Halbblüter Hake, Admiral und Pitt sowie Pitts Enkel Adler und diverse türkische Hengste wie bspw. Hannibal und Bassa.
1739 bis 1781 – Zwang der Erwirtschaftung von Überschüssen: Zunächst elf, später 21, als Landbeschäler aufgestellte Hengste in Trakehnen wurden der bäuerlichen Züchterschaft zur Verfügung gestellt.
1781 bis 1786 – Aufrechterhaltung des Status Quo
1786 bis 1789 – Verstaatlichung von Trakehnen/ Reorganisation des Gestüts:
Generalmusterung des gesamten Hauptgestütes / Ausmusterung von ungeeignet scheinenden Hengsten und Stuten / Einteilung der Mutterstuten in Herden / Unterteilung der Zucht in Reit- und Wagenpferde
1789 bis 1814 – Trakehner Pferde galten als die besten Militärpferde der Welt: Ostpreußen, Posen und Westpreußen stellten die Remonten der Kavallerie / Hannover und Holstein stellten ihre kräftigeren, schwereren Jungpferde für Artillerie und schwere Kavallerie .
Das Vollblutpferd, gewann in Trakehnen an Bedeutung: „Lauteres Gold an Beschälern, seien es Araber oder Englisch Vollblut!“
Arabisch geprägte Hengste hinterließen bedeutende Söhne und unzählige Mutterstuten/ Original englische und arabische Vollblutstuten zur Einstellung in der Mutterstutenherde wurden hinzu gekauft Von 1806 bis 1810 deckte der englische Vollblüter Saxony xx als Hauptbeschäler in Trakehnen.
Mit dieser fast schon revolutionär durchschlagenden Zuchtstrategie des Einsatzes von Edelblut Anfang bis Mitte des 18. Jahrhunderts wurde das Zuchtziel für die ostpreußische Warmblutzucht für mehr als 100 Jahre festgelegt, denn Vollblutaraber Bagdaly ox, Oglan ox und Nedjed ox, die englischen Vollblüter Scrapall xx, Blackamoor xx, The Cryer xx, Waterman xx, Mickle Fell xx, Black Hambleton xx, Big Ben xx, der Angloaraber Tigranes x, die Englischen Halbblüter, beziehungsweise schon in Trakehnen geborenen Vererber Driver, Pretender, Leporello und J. Driver konnten mit hervorragenden züchterischen Ergebnissen überzeugen.
1847 bis 1864 – Ruf nach zugkräftigen Pferden mit mehr Kaliber und Knochenstärke: Ohne Fremdblutzufuhr und auch ohne Scheu vor Inzucht entstand innerhalb kurzer Zeit das gewünschte Trakehner Pferd mit mehr Knochenstärke und Kaliber, indem nur die schwereren Typen miteinander Verpaart wurden. Durch den dominierenden Einsatz des Fuchshengstes Thunderclap von Mickle Fell xx erlangte die Fuchsherde ihre ausgeglichene gute Qualität.Die Rappherde formten Sahama xx, Ganges x, seine Söhne Inspector x und Nobelmann x und dessen Sohn Fritter, während die braune Herde wesentlich von von Snyders xx, Oromedon und dem Halbblüter Reprobate von King of the Valley xx beeinflusst wurde.
1864 bis 1888 – Weiterhin Bemühung um Verstärkung, aber in Reinzucht – mit und durch englisches Vollblut: Rustic xx, Ethelred xx, Adonis xx, Lollypopp xx, Kingdom xx, Marsworth xx, Friponnier xx, Hector xx und The Duke of Edinbourgh xx kamen zum Einsatz und wurden zum Teil ebenso zu Linienbegründern wie die in Trakehnen geborenen Hauptbeschäler Journey von Promoter, Flügel von Vorwärts und seine Söhne Passvan und Eberhard. Paladin von Adonis xx, Tunnel von The Duke of Edinbourgh xx, Thebaner von Pless, Venezuela von Hector xx, Fürstenberg von Ambos und Orcus von Friponnier xx bestimmten die Pedigrees als Vatertiere.
1888 bis 1895 – Weiterhin wurde auf Edelblut gesetzt: Apis von Paladin (86 % xx), Barometer von Father Claret xx, Discant von Flügel (80% xx), Hirtenknabe von Hector xx und Edeling von Anarch xx, sowie die Vollbluthengste Anarch xx, Euphony xx und Mirmidone xx kamen zum Einsatz.
Das durchschnittliche Zuchtprodukt dieser Zeit hatte zwischen 80 und 90% Spezialblut!
1895 bis 1912 – Einführung der Trakehner Jagden und Jagdrennen / Schaffung von rigorosen Ansprüchen an die Härte und Leistungsbereitschaft des Trakehner Pferdes/ Leistungspferd von bestem Ruf im In- und Ausland als Grundlage der Trakehnerzucht
Weiterhin Verstärkungsphase: Grobknochige und derbe Hengste Optimus und Obelisk von Odoardo und Lehnsherr von Charmant xx / 1903 Kauf des St. Simon xx- Enkel Perfectionist xx von Persimmon xx
Perfectionist xx hinterlässt nach nur dreijährigem Zuchteinsatz 32 Söhne, darunter die Hauptbeschäler Tempelhüter, Jagdheld und Irrlehrer sowie 34 eingestellte Mutterstuten eine stattliche Anzahl von hochveranlagten Leistungspferden
Es folgten weitere Englische Vollbluthengste wie Le Nicham xx, Pomp xx, Monsieur Gabriel xx, Red Prince II xx und der Angloaraber Nana Sahib x, der vor allem als Vater zahlreicher Leistungssportler, allen voran dem Springderbysieger von 1930, Morgenglanz aus der Monogamie von Lauer, bekannt und geschätzt wurde.
Neben den Vollblütern kommen auch die aus eigener Zucht stammenden Hauptbeschäler und Optimus-Söhne Prinz Optimus und Polarsturm sowie die Hauptbeschäler Fischerknabe von Obelisk, Jenissei von Venezuela, Elfenbein von Marsworth xx, Piper von The Duke of Edinbourgh xx und Fanfarro von Friponnier xx zum Einsatz.
1912 bis 1922 – Ostpreußen als Remonteprovinz und Lieferant des leichten Reit- und Kutschpferds: Im Jahr 1913 wurden 83,5 Prozent aller Stuten von Vollblütern gedeckt, die fünf Halbbluthengste deckten die restlichen 63 Stuten teilen
1922 bis 1931 – Umformung des Trakehner in Richtung Verstärkung: Ausrangierung aller Vollbluthengste bis auf Master Magpie xx / nur Mutterstuten, die dem neuen Zuchtziel entsprachen, blieben in der Zucht/ Verstärkung aus der eigenen Rasse ohne auf die Zufuhr von Fremdblut zurückgreifen zu müssen.
1931 bis 1944 – Verdiente Hauptbeschäler wie Ararad, Kupferhammer, Pilger, und Poseidon wirkten ebenso wie Bussard von Waldjunker, Hirtensang von Parsival, Polarstern von Astor, Tyrann von Pilger sowie Hyperion und Pythagoras von Dampfroß. Besonders bewährt haben sich in dieser Zeit auch Cancara von Master Magpie xx und der Cymbal von Nana Sahib x, Creon von Pythagoras und der Cremona von Ararad und Semper Idem von Dampfroß und der Semendria von Parsival. Großinquisitor xx und Marduck xx gaben der Zucht erneut Härte und Leistungsbereitschaft, genauso wie Masaniello xx, Airolo xx, Marabou xx und Paradox xx. Harun al Raschid A, der unvergessene Fetysz ox und Lowelas ox lieferten die arabischen Impulse.
Oktober 1944 bis 1945 – Der große Treck , die Flucht in den Westen
Es ereignete sich das, was wohl die größte Leistungsprüfung der Geschichte der Reitpferde war!
Die Trakehner Zucht nach 1945 – Nur ein kleiner Prozentsatz hat es überlebt und auf der Basis von über 200 Jahren dokumentierter Zuchtgeschichte, wächst die Trakehnerzucht weltweit neu. In Reinzucht. Das heißt, ausschließlich unter Einsatz von arabischem, angloarabischen oder englischem Vollblut. Wie sollte es da also möglich sein, dass ein heutiger Trakehner, nur noch 25% Vollblut führt, wenn seine Ahnen vor 1900 alle 80% ++ verzeichnet haben und seither nichts anderes als Blut hinzu gekommen ist? Das ist doch Mumpitz! – Oder ums mit Joda zu sagen:
Die ganzen Rechnungen sind obsolet und darüber hinaus auch noch irreführen nutzt man die Dienste der gängigen Datenbanken. Fees Vater Bonaparte N AA – ein reiner Angloaraber – erhält beispielsweise in horsetelex 86,33 % VB-Anteil. Korrekt wären 100. Und in Folge dann für Fee nicht 48,44 sondern 55+. Aber auch das stimmt ja so nicht, da die Vorfahren ab Generation x einfach abgeschnitten werden. Als würden fast 300 Jahre in Bedeutungslosigkeit versinken und wenn man nicht aufpasst, steigt das Schweike-Pony aus dem Bus…
Die Frage darf also nicht „Blut vorhanden?“ lauten, sie muss vielmehr „Welches Blut ist vorhanden?“ lauten. Denn wenn im Pedigree die Blüter dominieren, denen das Springen nicht in die Wiege gelegt wurde, wird es dann auch für die VS schwer bis gänzlich unmöglich! Andererseits, wenn sie gut springen, dann sollte der fest verankerte Blutanteil vom Grundsatz immer noch reichen. Wir sehen heute noch die Auswirkung der Blüter – den etwas flacheren Gang, die weniger aufwändige Galoppade. Wieso sollten denn nur diese Eigenschaften über Generationen bleiben? Wieso nicht auch die Reaktionsschnelle, die Ausdauer, die „Intelligenz“?
Grafenstolz führt 2020 das Sire-Raking der WBFSH in der Vielseitigkeit. Mit unter 40% vergleichbar blutleer – aber dennoch weltbester Vererber in der Disziplin. Nachkommen oft auch in Kombi mit dem französischen Angloaraber, der sich in seiner Zuchtausrichtung zum reinen Springpferd verändert hat. Rein vom Erscheinungsbild kommt da ganz wenig Blüter rüber!
Wenn wir also als gegeben annehmen, dass unsere Trakehner generell genügend Eigenschaften ihrer englischen und arabischen Vollblutvorfahren fest verankert haben, dann stellt sich die Frage, wonach müssen wir für die Vielseitigkeit selektieren? – Richtig, es ist das Springen! Denn ansonsten liefert uns jede Anpaarung à la Springspezialist x Vollblut, die andere Zuchtgebiete vornehmen können, einen ungleich besseren Aspiranten ohne auf 300 Jahre Zuchtgeschichte zurückblicken zu können. 😉
Addendum, weil es zum Thema passt: Sophie Leube hat sich in ihrer Bakkalaureatsarbeit im August 2009 mit den Vollblutanteilen bei Vielseitigkeitspferden bei den Bundeschampionaten befasst, eine interessante Lektüre die zum Thema passt, weil sie den Trakehner als Veredler behandelt.
Perfekt analysiert!
Danke dafür!