Adventstürchen 17 – 2014 / Anatomie verstehen – Besser reiten … und auch züchten und aufziehen, oder?

Tür17-2014

Fotos in Grafik  von www.horse-today.de

Wir lieben ein Buch und nachdem wir die letzten Tage ausschließlich von unseren Pferden erzählt haben, wollen wir uns diesem heute zuwenden und auch mal ein bisschen Werbung dafür machen: „Anatomie verstehen – besser reiten“ von Gillian Higgins. Sie malt ganz wörtlich genommen den „Röntgenblick“ aufs Pferd.  Das Buch verdeutlicht die biomechanischen Grundlagen des Pferdekörpers und der  Pferdebewegung. Verdeutlicht was da so im Pferd zusammen spielt. Ziel ist, dem Reiter Grundlagen zu vermitteln um dann besser zu reiten. Ein gutes Ziel!!

Aber auch für den Züchter tut es gut, sich manche Dinge noch mal vor Augen zu führen. Klar, „They run in all shapes“ – das stimmt schon, aber es gibt auch „shapes“, die das ganze Programm einfacher machen.Was bedeutet eine kurze Kruppe für die Mechanik? Oder wo setzen welche Bänder an? Ist das große, gut ausgeprägte Gelenk tatsächlich mehr als nur eine Phrase? 😉 Ja das muss es wohl sein, denn an diesen Gelenken setzen die bändernen Strukturen an. Ganz profan: Mehr Platz -> Mehr Band / Sehne -> Mehr Stabilität!

Zum Wachstum: Viele Reiter zum Beispiel können von ihrem Pferd erzählen, „Der ist dann, obwohl schon vier Jahre alt nochmals richtig gewachsen.“ – Logisch, denn die mit der Arbeit wachsenden Thoraxmuskeln heben den Widerrist. Also kein Spontanwachstum wegen besonders guter Fütterung, sondern ganz simple Anatomie.

Was passiert bei einem lang und weich gefesselten Pferd in der Landung nach dem Sprung? Ist es vielleicht wenig verwunderlich, dass gerade die Springpferde gerne etwas kürzer und steiler gefesselt sind? Vor allem die, die den Job über viele Jahre tun? Wie muss die Schulter konstruiert sein, um möglichst leicht nach oben angehoben werden zu können?

In der Zucht können wir durch Selektion der Elterntiere auf die Exterieureigenschaften Einfluss nehmen. Länge der Fesselung und Stellung der Gliedmaßen. Letzteres ist vor allem auch eine Aufgabe der Aufzucht!! Dazu kommt ein guter Huf, groß genug für eine ideale Druckverteilung. Für die korrekte Bearbeitung der Zehe und der Trachte ist dann wieder die Aufzucht – in diesem Falle die regelmäßige Konsultierung des Schmiedes relevant.

Zu diesen Punkten sind wir im Übrigen der Meinung, dass die Zuchtverbände deutschlandweit in letzter Zeit arg die Zügel schleifen lassen…. hier sind vermehrt Stellungen und Hufformen zu sehen, die wir für uns in der Selektion schlicht ausschließen! Und eigentlich möchte man sich doch auf die Urteile der Fachgremien verlassen können, oder?

Schön in dem Buch auch die Verdeutlichung der Bewegungsabläufe. Was tut welcher Knochen / welches Gelenk. Wo wirken Kräfte? Und nach Lektüre kommen Fragen auf wie „Was muss ich als gegeben hinnehmen, wenn ich in der Anreitephase bemerke, dass mein junges Pferd deutlich überbaut ist?“ – Der Motor liegt hinten. Soweit so gut, soweit bekannt. Schaut man sich den Drehpunkt (das jeweils höchst gelegene Gelenk, das in die Bewegung involviert ist) der Galopp-Bewegung an, so sieht man, dass dieser das Lubosakralgelenk ist. Im Gegenteil zum Trab, hier ist es das Hüftgelenk. Wie soll nun also ein junges und überbautes Pferd, noch mit Problemen im Gleichgewicht, ausgerechnet in dem Gelenk nach unten abkippen, das aus anatomischen Gegebenheiten gerade der höchste Punkt des Rückens ist? Es kann nicht gehen. Und ich sollte es als Reiter auch nicht erzwingen wollen!

Die Kurze Kruppe, die man heute sehr gerne sieht, ist der ersten Instanz sicherlich geeignet die Illusion vom weiten Unterfußen unter den Schwerpunkt zu schaffen. Gerne kombiniert mit einem etwas säbelartigen Hinterbein, dass ja von Natur aus schon „drunter“ ist. In der späteren Tragearbeit ist die kurze Kruppe aber im Nachteil. Simple Gesetze der Physik: Man nehme einen langen und einen kurzen Hebel und vergleiche die Kraftentfaltung……

Wir finden, es ist elementar, dass sich auch der Züchter im Detail mit der funktionalen Anatomie auseinander setzt. Denn schließlich soll ja ein leistungsbereites und gesundes Reitpferd das Ergebnis all unserer Bemühungen sein!

Unlängst berichtete der Spiegel über eine Forschergruppe in England, die dem Geheimnis der besonders schnellen Rennpferde auf die Spur wollten:

„Bei der Suche nach dem Erfolgsgeheimnis ging das Team von Alan Wilson bis ins 18. Jahrhundert zurück. Damals holte der legendäre Hengst Eclipse eine Trophäe nach der anderen – und blieb zeitlebens unbesiegt.

Das Wunderpferd taucht im Stammbaum von bis zu 80 Prozent aller heute aktiven Spitzenrennpferde auf, behauptet das britische Institut.

Die Forscher verglichen Portraits von Eclipse mit Fotos und Videoaufnahmen heutiger Rennpferde. Sie untersuchten Länge und Statur der Tiere sowie die Struktur von Sehnen, Knochen und Muskeln und kombinierten dies mit Bewegungsanalysen auf dem Laufband. Mit diversen Infrarot-Markern bestückte Pferde mussten dort bei verschiedenen Geschwindigkeiten laufen, während Sensoren die Bewegungskoordinaten der Marker aufzeichneten.

Eclipse feierte bei dieser Gelegenheit als Computermodell seine Auferstehung – zwar nicht in Gänze, aber immerhin wurde eines seiner Vorderbeine wieder lebendig. Die Wissenschaftler scannten die Knochen des Beins mit einem Computertomografen, um es anschließend bei Simulationen zu untersuchen. Das Skelett von Eclipse ist seit über 200 Jahren im Royal Veterinary College ausgestellt.

Das verblüffende Ergebnis der Analysen: Eclipse rannte deshalb so schnell, weil er so durchschnittlich gebaut war. „Die Statur von Eclipse und alles an ihm scheint genau in der Mitte der normalen Bandbreite zu liegen“, sagte Wilson. Offenbar träfen bei ihm alle Faktoren für hohe Geschwindigkeit zusammen.Pferde sind wahre Balancierkünstler, wenn sie mit vollem Tempo galoppieren. Jedes Bein befindet sich dann, zeitlich gesehen, zu 80 Prozent in der Luft. Dies begrenzt auch die erreichbare Höchstgeschwindigkeit.

„Ein Pferdebein gleicht einem Springstock“, sagte Forscher Wilson. Es nutze die in Muskeln und Sehnen gespeicherte Energie, um den ganzen Körper nach vorn und nach oben zu katapultieren. „Wir haben herausgefunden, dass die Steifheit eines Beins das Tempo beschränkt, mit der das Pferd die Kraft auf den Boden übertragen kann, und gleichzeitig das Verletzungsrisiko erhöht.“

Das Forscherteam stellte außerdem fest, dass gute Rennpferde ihre Beine besonders schnell nach vorn bewegen, um den nächsten Schritt vorzubereiten. Große, langbeinige Pferde täten das weniger schnell als kleinere Artgenossen – und könnten daher weniger hohe Geschwindigkeiten erreichen.“

 

Quelle: http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/rennpferde-das-geheimnis-schneller-beine-a-327389.html

 

Das Exterieur prägt die Bewegungen! Wohin auch immer das Leben eines Pferdes es führt, je idealer das Exterieur, desto wahrscheinlicher ist, dass es sich korrekt bewegt, gesund bleibt und die ihm zugeschriebene Rolle ausführt. Hierzu gehört nicht der aktuell moderne Bewegungs-Spektakel, aber um den wird es dann morgen unter anderem gehen….

Für dieses Türchen haben wir auf Bilder verzichtet. Das Buch mit den zugehörigen Bildern oder auch die DVD gibt es zum Beispiel bei Amazon 😉

Gillian Higgins
Anatomie verstehen – besser reiten
160 Seiten, laminierter Pappband
324 Farbfotos, 38 Farbzeichnungen
ISBN 978-3-440-12185-6
Kosmos Verlag
Erscheinungstermin: Juni 2010